Allgemeinbildender Unterricht (ABU)

IN KÜRZE: Die Abkürzung ABU steht für Allgemeinbildender Unterricht. Er basiert auf einem gesamtschweizerischen Rahmenlehrplan (RLP) und umfasst drei Lektionen pro Schulwoche. Das Fach ist ein obligatorisches Unterrichtsfach für alle gewerblich-industriellen Berufslehren in der Schweiz.

Ziel des allgemeinbildenden Unterrichts

Der allgemeinbildende Unterricht hat zum Ziel, jungen Menschen Orientierung in ihrer aktuellen Lebenssituation zu bieten. Während ihrer Ausbildungszeit werden sie unter ganzheitlichen Gesichtspunkten auf ihr berufliches und privates Leben vorbereitet. Dabei werden Schlüsselkompetenzen gezielt gefördert.

Rahmenlehrplan
Der Rahmenlehrplan ist ein Steuerungsinstrument für den allgemeinbildenden Unterricht an den Berufsfachschulen. Er richtet sich an die Kantone, die Berufsfachschulen und die Lehrpersonen, welche auf seiner Grundlage Schullehrpläne entwickeln. Er orientiert über Ziele und Absichten des allgemeinbildenden Unterrichts. 

 

Lernbereich "Gesellschaft"

Der allgemeinbildende Unterricht gliedert sich in zwei Lernbereiche "Gesellschaft" und "Sprache und Kommunikation". Beide Lernbereiche sind gleich bedeutsam. In den Semesterzeugnissen werden die Leistungen separat ausgewiesen. Der Lernbereich Gesellschaft umfasst die folgenden acht Aspekte. Die Aspekte dienen als "Perspektiven", unter denen Themen im Unterricht behandelt werden. 

  • P olitik
  • O ekologie
  • W irtschaft
  • E thik
  • R echt
  • K ultur
  • I dentität und Sozialisation
  • T echnologie

Lernbereich "Sprache und Kommunikation"

Im Lernbereich Sprache und Kommunikation werden Sprach- und Kommunikationskompetenzen entwickelt und gefördert. Dieser Bereich orientiert sich am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER). Das vermittelte Wissen wird multidisziplinär aus verschiedenen Perspektiven erarbeitet und mit kommunikativen Sprachaufträgen verknüpft.

Die Inhalte des Fachs sind in aufeinanderfolgende Unterrichtsthemen gegliedert, die im Schullehrplan (SLP) der Berufsfachschule festgelegt sind. In einigen Kantone existieren kantonale Lehrpläne. 

 

Unterrichtsprinzipien

Der allgemeinbildende Unterricht ist themenorientiert und handlungsorientiert. Die Inhalte des Unterrichts sind in Themen organisiert und folgen keiner disziplinären Fachlogik. Die Themen beziehen sich auf die persönliche, berufliche und gesellschaftliche Realität der Berufslernenden.

Die Lernenden entwickeln ihre Kompetenzen durch eigenes Handeln. Sie tragen Verantwortung für ihr Lernen, gestalten ihren Lernprozess selbstständig und erstellen konkrete Produkte.

 

Selbst- und Sozialkompetenzen

Im Zentrum des ABU steht die Förderung der Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenz, zusammen mit dem Aufbau von Sach-, Sprach- und Kommunikationskompetenzen.

Diese Kompetenzen helfen den Berufslernenden, zwischenmenschliche Beziehungen zu gestalten und Herausforderungen in Kommunikations- und Teamsituationen sicher und selbstbewusst zu bewältigen. Beispiele: Empathie, Konfliktfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit, Reflexions- und Lernfähigkeit, Selbstbewusstsein, Teamfähigkeit, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit.

 

Methodenkompetenzen

Methodenkompetenzen ermöglichen eine geordnete und geplante Arbeitsweise, einen sinnvollen Einsatz von Hilfsmitteln sowie zielgerichtetes und durchdachtes Problemlösen. Beispiele: Arbeitstechnik, Informationsmanagement, Kreativitätstechnik, Lerntechnik, Präsentationstechnik, Zeitmanagement.

 

Das Qualifikationsverfahren (QV)

Das Qualifikationsverfahren umfasst alle Verfahren, mit denen festgestellt wird, ob eine Person über die Kompetenzen verfügt, die für den Erwerb eines eidgenössisch anerkannten Abschlusses notwendig sind. Es besteht aus den folgenden drei Elementen, die je einen Drittel der Abschlussnote in Allgemeinbildung ausmachen:

  • Erfahrungsnote
  • Vertiefungsarbeit (VA)
  • Schlussprüfung (SP)

Der Anteil der Allgemeinbildung an der Gesamtnote des eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses beträgt 20 %.


Zur Geschichte des Fachs

Bis 1996 bestand die Allgemeinbildung in der Berufsbildung aus den Fächern Deutsch, Geschäftskunde und Staatskunde. Grundlage dafür bildete der nationale Lehrplan von 1976, der auch die Basis für nationale Lehrabschlussprüfungen war. In den 1980er-Jahren wurde beschlossen, das Fach Staatskunde nicht mehr als Teil der Lehrabschlussprüfung zu prüfen, sondern nur noch als Zeugnisnote zu berücksichtigen.

Reform 1996

Unter der Leitung von Res Marty erfolgte eine Reform, die erstmalig zu dem interdisziplinären Fach "Allgemeinbildung" führte. Die Reform basierte auf vier Ideen:

  • Ersatz des einheitlichen nationalen Lehrplans der bisherigen Fächer durch einen Rahmenlehrplan und lokale Schullehrpläne ("Wer lehrt, prüft")
  • Einführung einer neuen Fächerarchitektur: Schaffung des Fachs "Allgemeinbildung" mit den beiden Lernbereichen "Gesellschaft" sowie "Sprache und Kommunikation"
  • Explizite Förderung der Fach-, Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenzen über die Dauer der gesamten Ausbildung 
  • Einführung einer selbständigen Vertiefungsarbeit

Der Rahmenlehrplan (RLP) bietet seit 1996 eine gemeinsame Grundlage für den allgemeinbildenden Unterricht aller beruflichen Grundbildungen, bei denen die Allgemeinbildung nicht in der Bildungsverordnung geregelt ist. Mit Ausnahme einzelner Berufe (etwa Kaufmann, Mediamatikerin, Buchhändler) trifft das auf fast alle Berufe zu. Damit bildet der allgemeinbildende Unterricht eine Klammer für alle beruflichen Grundbildungen.

 

Reform 2006

Die im Mai 2006 in Kraft getretene Reform verankerte den Rahmenlehrplan für den allgemeinbildenden Unterricht stärker im damals neu eingeführten Berufsbildungsgesetz (BBG). So wurde der Geltungsbereich des RLP auch auf die zweijährige Grundbildung ausgeweitet. Das pädagogisch-didaktische Konzept, die Aufteilung in die zwei Lernbereiche Sprache und Kommunikation sowie Gesellschaft, und das Qualifikationsverfahren blieben dabei unangetastet.

Im Vergleich zum Rahmenlehrplan von 1996 wurde jedoch der Lernbereich Sprache und Kommunikation aufgewertet. Die beiden Lernbereiche tragen zu je einem Sechstel zur Abschlussnote Allgemeinbildung bei. Ihr Anteil an der Gesamtnote des eidgenössischen Fähigkeitsausweises oder Berufsattests beträgt mindestens 20 Prozent. Damit sollen die Sprach- und Kommunikationskompetenzen der Lernenden stärker gefördert werden.

Zudem hat die Reform von 2006 die Bestehensregeln für die Vertiefungsarbeit (VA) verschärft. Bisher war es möglich, selbst Vollplagiate oder nicht eingereichte VA durch die weiteren Noten zu kompensieren. Nun haben die Prüfungsleitungen die Möglichkeit, in solchen Fällen die Schlussprüfung zu verweigern, was zu einem "Nichtbestehen" des QVs führen kann. 

Während die Drittelung der Gewichtung unbestritten ist, bietet die Arithmetik des dahinterliegenden Punktesystems seit 2006 Anlass zur Kritik. Thomas Büchi (Berufsfachschullehrer und Leiter der Zürcher Fachstelle «Projekte Lehrplan Allgemeinbildender Unterricht») bemängelt insbesondere, dass die Noten welche ins Lehrabschlusszeugnis einfliessen, zweimal gerundet werden. Das sei «mathematisch unsinnig» und führe zu Ungerechtigkeiten.

 

Reform 2026 ("Allgemeinbildung 2030")

Mit dem Projekt «Allgemeinbildung 2030» soll die Allgemeinbildung der beruflichen Grundbildung auf die künftigen Anforderungen der Gesellschaft und des Arbeitsmarktes ausgerichtet werden. Das Fach soll "fit für die Zukunft" werden. Die Grundsätze für die Revision der «Verordnung des SBFI über Mindestvorschriften für die Allgemeinbildung in der beruflichen Grundbildung» (VMAB) und des «Rahmenlehrplans für den allgemeinbildenden Unterricht in der beruflichen Grundbildung» (RLP ABU) wurden im Herbst 2021 von der im selben Jahr gegründeten Tripartiten Berufsbildungsämterkonferenz (TBBK) gutgeheissen. Das pädagogisch-didaktische Konzept wollte man dabei dabei beibehalten:

  • Der Stellenwert der Allgemeinbildung ist zu stärken.
  • Der allgemeinbildende Unterricht (ABU) soll sich an Qualitätsstandards messen und damit eine schweizweite Verbindlichkeit garantieren.
  • ABU wird von qualifizierten ABU-Lehrpersonen unterrichtet.
  • ABU und berufskundlicher Unterricht (BKU) sind aufeinander abzustimmen, sowohl zum Zeitpunkt der Konzeption sowie zum Zeitpunkt der Umsetzung.
  • Der ABU der Zukunft stärkt die Standardsprache des Schulortes, berücksichtigt und priorisiert Megatrends.
  • Die Verbindlichkeit der Umsetzung des Rahmenlehrplans in den Berufsfachschulen wird erhöht und die Kantone übernehmen mehr Verantwortung in der Qualitätssicherung des ABU.
  • Die Qualifikationsverfahren werden vereinfacht.
  • Die Gesamtverantwortung für die Allgemeinbildung liegt beim SBFI. Für die Umsetzung des ABU sind die Kantone verantwortlich

Das SBFI beschloss zum Reformbeginn aus Zeitgründen auf eine wissenschaftliche Untersuchung des Fachs zu verzichten. Stattdessen beauftragte es die Firma INTERFACE, im Rahmen eines sogenannten Reviews eine Literaturreche, Dokumentenanalyse und Interviews durchzuführen.
Da wissenschaftliche Literatur zur Allgemeinbildung an gewerblich-industriellen Berufsschulen praktisch nicht existiert, ist die Aussagekraft des Berichts von INTERFACE stark eingeschränkt.
Das 129-seitige Review welches als Basis der Reform diente, stellt das Forschungsinteresse  lediglich dar. Die Fachdidaktik wird sich weiterhin auf allgemeiner Didaktik abstützen müssen.